Es war einmal eine Qual, die sich mit ihrem Dasein als Qual keineswegs anfreunden konnte. Mit düsterer Mine, gesenktem Kopf und verschlossenem Herzen schritt sie hastig durch die Tage und jammerte hie und da, wie viel Pech sie doch gehabt habe, ausgerechnet als Qual zur Welt gekommen zu sein.
Als sie eines Tages wieder ihr Leben verwünschte und lauthals die wildesten Flüche durch die zusammengekniffenen Zähne hervorstiess, antwortete das Leben ihr mit sanfter Stimme: «Auch ich wäre lieber nicht ich.» Es drückte mit seinen wässrigen Augen tiefes Verständnis aus: «Ich wünsche mir schon so lange, einfach ein Menschenjunge zu sein, zur Schule zu gehen und Freunde zu haben.» Das Leben schwieg und starrte sehnsüchtig ins Leere, bevor es mit leicht zittriger Stimme anfügte: «Manchmal träume ich vor mich hin und überlege mir, wie ich aussehen und wie mein Name klingen würde. Am liebsten hiesse ich Ben.»
Mit grosser Aufmerksamkeit hörte die Qual zu, und man sah, wie sie ins Denken geriet. Zögernd fragte sie, ob sie eine Frage stellen dürfe. «Das war gerade eine Frage», entgegnete das Leben, «aber nur zu.» «Wenn du das Leben bist und ich die Qual – dann hast doch du ein LE zu viel und ich, naja ich… habe eins zu wenig. Ich habe mir nie gewünscht, eine Qualle zu sein, aber recht wär’s mir. Mir ist egal, was ich bin, ich möchte nur keine Qual mehr sein.» Das Leben atmete laut, es schien die Idee der Qual noch nicht ganz begriffen zu haben. «Glaubst du nicht, du könntest mir dein LE abgeben? Dann wärst du Ben und ich wäre dann äh eine Qualle», fuhr die Qual fort und kratzte sich am Kopf.
Da war der Groschen beim Leben gefallen. «Aber sicher!», rief es aus und löste sich unter viel Anstrengung von seinem LE, welches es der Qual hinhielt. Diese streckte die Hand aus und griff nach dem LE, doch von einer grossen Schwäche überkommen, schaffte sie es nicht, das LE sich selbst anzuhängen.
Es war vorhersehbar gewesen: Die Qual hatte nun kein Leben mehr, sodass sie die Gestalt einer Qualle nie annehmen konnte und leblos zusammensackte.
Was mit Ben geschah, ist unklar. Sobald er sah, dass der Tausch nicht planmässig verlaufen war, nahm er seine Beine in die Hand und flüchtete in grösster Eile vor den freilaufenden Buchstaben, um keinesfalls von ihnen wieder eingeholt zu werden. Womöglich hat auch er sein Glück auf ewiger Flucht nicht gefunden.